Aufstehen
für die Kunst
Aufstehen
für die Kunst
1. Juni 2021
Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Str. 1
10557 Berlin
Frau Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Str. 1
10557 Berlin
Vorab per E-Mail: poststelle@bundeskanzlerin.de, poststelle@bkm.bund.de
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,
mit großem Interesse haben wir Ihren „Bürgerdialog Kunst und Kultur“ am 27.04.2021 verfolgt.
Auch wenn es uns überrascht hat, dass kein/e einzige/r Vertreter*in des Genres Musiktheater eingeladen war, danken wir Ihnen sehr für Ihr offenes Ohr und Ihre Zugewandtheit!
Dass Sie in dieser öffentlichen Form der Thematik Raum gegeben haben, hat uns gutgetan.
Aber als Vertreter*innen der Freischaffenden im Musiktheater ist uns wichtig, dass wir auch jetzt, wo erste Öffnungsschritte gegangen werden, nicht vergessen werden.
„krea[K]tiv - musiktheater stands up“ hatte sich erstmals im Dezember letzten Jahres mit einem offenen Brief an Sie und sämtliche betroffenen Minister*innen auf Bundes- und Länderebene gewandt, in dem wir auf die Situation der freischaffenden Kolleg*innen im Musiktheater aufmerksam gemacht haben.
Seither ist ein Dialog mit der Kulturministerkonferenz entstanden und wir konnten unsere Anliegen dort vorbringen. Allerdings liegen noch immer viele Dinge im Argen, da unsere Vertrags- und Arbeitsverhältnisse nicht überall verstanden werden.
Die Mitunterzeichnende „GMD- und Chefdirigent*innenkonferenz e.V.“ setzt sich hier, mit uns zusammen, für die Belange der freischaffenden Instrumentalist*innen und Dirigent*innen ein.
In dem o.g. Gespräch gab es eine Anregung, die wir, gemeinsam mit den weiteren unterzeichnenden Initiativen und Bündnissen, aufgreifen möchten:
Es gab den Vorschlag, für alle freischaffenden Künstler*innen in Deutschland, die wegen der Pandemie zu einem großen Teil vollständig die Möglichkeit verloren haben, durch ihre Kunst in dieser schweren Zeit nicht nur unserem
Publikum und der demokratischen Verfassung unseres Landes beizustehen, sondern auch ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, mit einem „Äquivalent“ zum Kurzarbeitergeld, eine finanzielle Kompensation zu schaffen.
Viele von uns haben seit März 2020 keinerlei Auftritts- oder Produktionsmöglichkeiten bekommen und sind mit der
„Neustarthilfe Kultur“ überhaupt erst zu einem Hilfsinstrument gekommen, das tatsächlich greift. Allerdings ist eine einmalige Zahlung von maximal 7.500 Euro für die Monate Januar bis Juni, nach 14 Monaten Ausfall, nicht ausreichend, um z.B. das (Über-)Leben einer davon abhängigen, ganzen Familie zu sichern. Ein Äquivalent zum Kurzarbeitergeld hingegen würde vielen Menschen das Überleben sichern.
Die Ungleichbehandlung der Freischaffenden mit den Angestellten, die im Homeoffice oder durch die Unterstützung von Kurzarbeiterregelungen einigermaßen sicher durch diese Zeit gekommen sind, ist in dieser Pandemie, die keiner von uns verschuldet hat, für uns nicht mehr nachzuvollziehen!
Es hätte für die Gäste im Musiktheater die Möglichkeit bestanden, uns in die jeweiligen Regelungen zur Kurzarbeit in den jeweiligen Theatern, mit denen Verträge bestanden, mit einzubeziehen. Diese Möglichkeit wurde von einigen Bühnenleitungen genutzt, aber - zumindest im Bereich Musiktheater, ist dies zum weit überwiegenden Teil nicht geschehen.
Stattdessen wurden von vielen Theaterleitungen nach Gutsherrenart, und ohne jegliche rechtliche Begründbarkeit, keine Kompensationszahlungen geleistet, oder solche, die den Vertragswerten in keiner Weise entsprechen. Dass Rechtsträger und Theaterleitungen hier die Jurisdiktion selbst in die Hand nehmen, weil die abgeschlossenen Verträge aus Angst um das nächste Engagement nicht eingeklagt werden, ist eines Rechtsstaates unwürdig!
Darüber hinaus werden jetzt Zahlen bekannt, in denen viele Bühnen freudig vermelden, dass sie in der letzten Spielzeit Überschüsse generiert haben. Dies ist für alle Vertragspartner, die nichts oder wenig bekommen haben, ein zusätzlicher Schlag ins Gesicht!
Die einseitige Abwälzung des Risikos durch eine Pandemie auf die Auftragnehmer ist inakzeptabel und darf so nicht fortgesetzt werden.
Aus diesem Grund fordern wir nicht nur zukünftig eine faire Lastenverteilung, sondern auch für die zurückliegende Pandemiezeit einen angemessenen Ausgleich für die immensen Schäden!
Trotz vielfältiger Beteuerungen, steht längst nicht allen das Instrument der „Grundsicherung“ zu: Viele von uns haben sich in den letzten Jahren eine private Altersvorsorge und Rücklagen aufgebaut, die jetzt erst zu großen Teilen aufgebraucht werden müssen - und auch teilweise schon lange sind – bevor die Berechtigung auf „Grundsicherung“ besteht. Bei den meisten Arbeitsagenturen besteht keinerlei Kenntnis über, oder Verständnis für unsere Art von Arbeits- und Vertragsverhältnissen. Dies führt dazu, dass - nach einer Beantragung - durch Auflagen und Hürden eine Ausübung künstlerischer Tätigkeiten unmöglich gemacht wird. Das hat bei einem Teil der Kolleg*innen bereits zur gänzlichen Aufgabe der künstlerischen Tätigkeit geführt. Das Problem mit den Arbeitsagenturen, die nicht der Weisung der Bundesagentur unterworfen sind, wurde bei dem Gespräch auch angeschnitten, und Sie sind dort bestens informiert. Hier benötigen auch die Freischaffenden im Bereich Musiktheater die Hilfe der Regierung!
Schon jetzt werden Produktionen für den Herbst abgesagt und als Begründung die COVID-19 Pandemie angegeben. Dies, um mit möglichst geringen, oder keinen Kompensationszahlungen, aus den Verträgen aussteigen zu können. Wenn sich diese Art Verträge zu würdigen verstetigt, sehen wir eine große Gefahr für die Glaubwürdigkeit unseres Rechtssystems!
Auch wenn zur Zukunftssicherung der kulturellen Institutionen Milliardenbeträge durch die Bundesregierung zur Verfügung gestellt wurden, kommt davon bei uns wenig bis gar nichts an. Im Gegenteil: die Vertragsbedingungen, die jetzt für zukünftige Verträge von den staatlich finanzierten Bühnen angeboten werden, werden kontinuierlich
schlechter. Hier sollte der Staat mit gutem Beispiel vorangehen und seine Künstler*innen zu fairen Bedingungen beschäftigen.
Bitte haben Sie in der Kulturpolitik nicht nur die Betriebe, sondern auch deren schutzwürdige Beschäftigte im Blick, ihre Interessen werden durch die Arbeitgeber nicht hinreichend gewahrt. Das Budget eines Kulturbetriebes allein schützt uns leider nicht vor prekären Verhältnissen, das hat die Krise uns deutlich gezeigt.
Wir zitieren aus dem Grußwort des Bundespräsidenten zur Eröffnung der Ruhrfestspiele 2021:
„Kultur ist Lebensmittel, Kunst ist unverzichtbar. Und mehr noch: Kunst ist Arbeit….
…Kultur ist Vielfalt und Begegnung. Kultur hinterfragt, verstört, ist widerspenstig und überschreitet Grenzen. Kultur fördert das Gespräch der Gesellschaft über sich selbst. Kultur ist Grundbedingung für Demokratie!“
Diese Sätze sprechen uns aus der Seele!
Aus diesem Grund bitten wir Sie, sich in den betroffenen Ministerien und Gremien dafür einzusetzen, dass weiter an Lösungen für die existenzielle Notlage, der freischaffenden Kollegen*innen, gearbeitet wird!
Gern tragen wir unsere Ideen und Vorschläge, wie solche Lösungen aussehen könnten und sollten, bei den dafür zuständigen Minister*innen und Behördenleiter*innen vor, damit sie auch wirklich zielgenau ausgestaltet werden können.
Auch über ein persönliches Gespräch mit Ihnen würden wir uns sehr freuen!
Mit freundlichen Grüßen,
Vorläufige Postanschrift:
Burkhard Fritz, Clara-Zetkin-Str. 60, 16548 Glienicke E-Mail: burkhard.fritz@kreaktiv.art